Da bin ich wieder, „Weiser Weißbart“, mit einer neuen Geschichte für euch. Neulich war ich ein paar Tage verreist, um alte Freunde zu besuchen, die ich lange nicht mehr gesehen hatte. Wir hatten eine schöne Zeit mit vielen Geschichten, alten wie neuen, gemütlichem Zusammensitzen und langen Spaziergängen. Aber ich freute mich auch sehr, wieder nach Hause zu kommen.
Die ersten, die mir dort begegneten, waren „Schönbein“ und „Glanzhaar“. Ich hätte sie fast nicht erkannt: Statt wie sonst üblich mit sorgfältiger Frisur und besonders schicker Kleidung waren sie mit Erdflecken überseht und ihre Haare waren strähnig. „Was ist denn mit euch passiert?“, wollte ich wissen. „Garnichts, keine Zeit“, war die knappe Antwort und schon waren sie wieder verschwunden. Ich zuckte mit den Schultern und ging erst einmal nach Hause. Das sah den beiden zwar gar nicht ähnlich, aber schließlich waren sie alt genug.
Nachdem ich einen Tee aufgesetzt und alle Fenster zum Lüften geöffnet hatte, hörte ich draußen laute Stimmen. „Mach schneller „Feine Feder“, das dauert viel zu lange!“ „Mecker‘ mich bloß nicht an, ich tue schon was ich kann um diesen Vielfraß satt zu bekommen“, antwortete das Rotkehlchen. „Außerdem muss ich auch etwas für mich fangen, schließlich habe auch ich Hunger“, und flog weiter. Zwei von denen „Die unter der Erde leben“ mühten sich mit einer Weinbergschnecke ab, die so groß wie sie selber war. Was ging hier vor?
Ich war neugierig geworden und machte mich auf den Weg nach draußen. Normalerweise sah man die „Die unter der Erde leben“ nur selten hier oben, und ihre Beute transportierten sie meist unterirdisch. „Was macht ihr denn mit der Schnecke?“, fragte ich sie. „Keine Zeit, wir müssen den Kleinen füttern“, antworteten sie und zogen mit ihrem Fang weiter. „Sehr merkwürdig, keiner hat Zeit und alle benehmen sich ganz anders als sonst“, dachte ich bei mir. Ich holte mir eine Jacke gegen die Herbstkälte und folgte ihnen.
Sie verschwanden in einem großen Laubhaufen. Ich näherte mich langsam bis ich aufgeregte Stimmen hören konnte. „Ich kann nicht mehr, ich bin völlig fertig“, jammerte Glanzhaar. „Außerdem riecht er nicht gut.“ „Auch wir sind am Ende unserer Kräfte“, sagten „Die unter der Erde leben.“ „Ich auch!“, das klang nach „Feine Feder“. „Dann müssen wir eben „Zottelhaar“ um Hilfe bitten“, schlug „Schönbein“ vor. „Oh nein, nicht diese Person“, protestierte ihre Freundin.
Ich folgte den Stimmen in den Laubhaufen. Drinnen war eine Höhle gebaut worden, in der alle Platz hatten. Sie standen im Kreis um einen sehr kleinen Igel. Darum ging es also. „Na, was macht ihr denn mit dem Igel“, fragte ich sie. „Naja, er ist viel zu klein und völlig entkräftet“, antwortete „Schönbein“. „Aber er ist ja so süß!“ „Deswegen haben wir alle zusammengetrommelt, um uns zu helfen ihn wieder aufzupäppeln“, ergänzte „Glanzhaar“. „Aber egal wie süß, wir schaffen es einfach nicht! Also müssen wir wohl doch „Zottelhaar“ um Hilfe bitten.“
„Nun mal langsam“, warf ich ein. „Lasst mich mal kurz nachdenken.“ „Zottelhaar“ war eine genauso mächtige wie auch eine schwierige Person. Ich schaute mir den Igel sehr genau an. Er roch wirklich nicht gut, und sein Nacken war eingefallen. Es ging ihm sehr schlecht. So würde er nicht durch den Winter kommen. Dann fielen mir die Riesen ein. Sie retteten kranke und zu schwache Igel.
„Die Riesen machen hinten bei ihrem großen Baumhaus Feuer“, sagte ich. „Das bedeutet, dass sie nachher wieder eine Gruppe kleiner Riesen hier durchführen. Wir schaffen den Kleinen dort hin, und wenn sie ihn finden, werden sie sich um ihn kümmern. Außerdem ist es in der Nähe des Feuers schön warm.“ „Aber wie bekommen wir ihn da hin?“, wollte „Schönbein“ wissen. „Er ist zu schwach, um selber zu laufen, und wir können ihn nicht so weit schieben.“
„Magst du zu den „Steinernen“ fliegen“, bat ich „Feine Feder“. „Bitte zwei von ihnen um Hilfe, und sie möchten einen ihrer Transportwagen mitbringen.“ So klein wie der Igel war würde er auf den Wagen passen und die „Steinernen“ waren stark genug um ihn zu ziehen. Das Rotkehlchen flog los. „Und was machen wir jetzt?“; fragte „Glanzhaar“. „Ihr geht alle nach Hause und ruht euch aus“, schlug ich vor. „Außerdem solltet ihr beiden mal in den Spiegel schauen.“ Das konnte ich mir einfach nicht verkneifen.
Erleichtert und völlig erschöpft machten sich alle außer mir auf den Weg. Ich wartete auf die „Steinernen“ und half ihnen dann, den Igel vorsichtig auf den Wagen zu schieben. Beim Transport brauchten sie meine Hilfe nicht, aber ich ging trotzdem mit. Wir suchten einen Platz in der Nähe des Feuers und luden unseren kleinen Freund sanft ab. Ich bedankte mich bei den „Steinernen“ für ihre Hilfe, bevor sie sich auf den Weg nach Hause machten. Ich blieb noch, bis der Riese der das Feuer machte den Igel entdeckte. „Oh, ein kleiner Igel. Sehr klein. Und sein Nacken ist eingefallen“, stellte er fest. „Sehr gut, du kennst dich mit Igeln aus“, freute ich mich in Gedanken.
Er polsterte eine kleine Holzkiste mit etwas Laub aus und setzt den Igel vorsichtig hinein. „Keine Angst mein Kleiner, ich weiß wo wir dich aufpäppeln.“ Da jetzt alles getan, war was wir tun konnten, machte auch ich mich auf den Weg zu meiner Wohnung. Auf dem Weg dahin hörte ich plötzlich schrille Stimmen. „Wie sehen wir denn aus, wie konnte uns das bloß passieren“, jammerten „Schönbein“ und „Glanzhaar“. Den Rest des Tages waren sie wohl mit Schönheitspflege beschäftigt.
Und ich konnte endlich meine Tasse Tee genießen, gelüftet war jetzt auch genug. Bis zum nächsten Mal mit einer neuen Geschichte.
Illustrationen: Manuela Tolksdorf, Text: Michael Dodt