Die kranke Füchsin

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Hallo, ich bin’s wieder, „Weiser Weissbart“ mit einer neuen Geschichte für euch.

Eigentlich wollte ich nur einen kurzen Spaziergang machen, um eine kurze Regenpause auszunutzen. Doch plötzlich hörte ich vom Rand des großen Hügels laute Stimmen. „Schaut mal, ich kann auf ihr herumtanzen.“ „Und ich kann sie sogar an ihren Barthaaren ziehen!“  Ich bog um eine Ecke und sah zwei Mäuse, die eine Füchsin ärgerten. Normalerweise hätten sie sich das niemals getraut, aber die Füchsin lag völlig reglos vor ihnen.

„Na, das ist aber nicht die feine Art“; sagte ich zu den Mäusen. Die erschraken vom Klang meiner Stimme und suchten sofort das Weite. „Dankeschön“, sagte die Füchsin mit kaum hörbarer Stimme. Mühsam öffnete sie ein Auge. „Was ist denn los mit dir, bist du krank?“ wollte ich wissen. Es dauerte einen Moment, bis sie antworten konnte. „Ich habe etwas falsches gefressen, da war wohl Riesengift drin“ antwortete sie ganz leise. Riesengift ist eine sehr üble Sache. Sie legen es aus, meistens um Ratten zu vertreiben. Es macht sehr krank und kann einen sogar umbringen.

Am liebsten hätte ich die Füchsin an einen trockenen Ort gebracht, aber sie war viel zu groß und schwer für uns vom „Kleinen Volk“. Aber ich kenne mich ganz gut mit Kräutern aus, also machte ich mich auf die Suche, um das Leiden der Weggefährtin zu lindern. Ich sammelte Tollkirsche, Schafgarbe, Kamille, Salbei, Frauenmantel und noch ein paar andere Kräuter, aus denen ich einen starken Sud kochte. Den flößte ich der Kranken vorsichtig ein. „Ich hoffe, das hilft dir, mehr kann ich leider nicht für dich tun.“ „Danke“, hauchte sie und schloss wieder ihre Augen.

Auf einem Ast saß „Schwarzfeder“, eine Rabenkrähe und hatte alles beobachtet. „Magst du eine Auge auf sie haben“, bat ich sie. „Ich schaue morgen wieder nach ihr.“ „Mach ich, wenn du mir als Belohnung einen halben Apfel bringst“, antwortete die Krähe. „Dann muss ich mir nichts zu essen zu suchen“, schloss sie mit einem schelmischen Zwinkern.

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Am nächsten Morgen stand ich sehr früh auf, kochte mir schnell einen Tee und machte mich dann auf den Weg zu meiner Patientin. Sie lag noch genauso da wie gestern. „Sie hat sich nicht gerührt, aber sie atmet noch“, bemerkte „Schwarzfeder“. „Dann mach ich mich mal auf den Weg“, sagte sie und wollte losfliegen. „Halt, bitte bleib‘ noch, ich glaube, ich brauche dich noch“, sagte ich schnell. „Na gut“, meinte die Krähe und streckte nur ihre Flügel aus, um ihre Muskeln zu lockern..

„Kannst du mich hören?“, fragte ich die Füchsin. Mühsam öffnete sie ein Auge: „Ja, aber mir geht es nicht besser“, murmelte sie kaum hörbar. Dann brauchen wir einen Plan B, dachte ich bei mir. Auch wenn es mir nicht leicht fällt das zuzugeben, hier wusste ich nicht mehr weiter. Ich grübelte vor mich hin, aber die einzige Idee, die mir kam, gefiel mir gar nicht. Doch es half nichts, da konnte nur noch „Zottelhaar“ helfen. Sie lebte alleine für sich in einer verzauberten Hütte, die auf sechs Stelzen laufen konnte. „Weißt, du, wo sich „Zottelhaar“ gerade aufhält“, fragte ich die Krähe. „Ja, aber muss das sein?“; wollte sie wissen. „Ich fürchte, wir haben keine andere Wahl, wenn wir unsere Patientin retten wollen“, antwortete ich. „Na gut, ich fliege hin und hole sie“, antwortete sie. „Aber dafür schuldest du mir einen ganzen Apfel!“, und weg war sie.

„Zottelhaar“ machte ihrem Namen alle Ehre, ihr Äußeres war ihr völlig egal und sie mochte auch die anderen vom „Kleinen Volk“ nicht. Eigentlich mochte sie gar keine Gesellschaft. Aber sie  war die beste Heilerin weit und breit, und sie besaß sehr viel Kraft. Damit konnte sie meinen Sud verstärken so dass er die Füchsin wieder gesund machen würde. Hoffte ich jedenfalls. Die Riesen nennen das Magie oder Zauberei, aber bei uns heißt diese Fähigkeit einfach die Gabe. Alle vom „Kleinen Volk“ haben sie ein bisschen, aber „Zottelhaar“ besaß außergewöhnlich viel von der Kraft, die nötig war, um ihre Gabe zu nutzen.

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Bald kam „Schwarzfeder“ wieder angeflogen und landete über mir auf einem Ast. „Sie kommt gleich“, sagte sie. „Meinen Apfel hole ich mir dann später bei dir ab!“ Und weg war sie wieder. Es dauerte nicht lange, und ich hörte das typische Geklacker der Stelzenbeine von „Zottelhaars“ Haus. Es war schon ein bisschen unheimlich. Und seine Bewohnerin machte es nicht besser. Sie sprang aus ihrer Tür auf den Boden, ihre zotteligen braunen Haare flatterten um ihr Gesicht. Sie trug einen speckigen Mantel, ihr Gesicht war voller Ruß und Kalkfarbe. Ihre dunklen Augen schienen fast nur aus Pupillen zu bestehen.

„So, da bin ich. Was gibt es denn zu tun?“, wollte sie wissen. „Die Füchsin dort hat Riesengift gefressen. Ich habe ihr einen Kräutersud gemacht, aus Schafgarbe, Toll“ …. „Papperlapapp“, unterbrach sie mich. „Das will ich gar nicht wissen. Hol mir eine paar dünne Weidenzweige und dann geht’s los.“ Obwohl verärgert über ihre Unfreundlichkeit machte ich mich auf und brachte ihr die Zweige. „So, jetzt geh‘ mir aus dem Weg!“, befahl sie. Aus den Zweigen legte sie einen etwas eckigen Kreis um die Füchsin, holte aus den Beuteln an ihrem Gürtel einige Pulver, getrocknete Pflanzen und andere Sachen. Alles streute sie langsam sorgfältig auf den Weidenkreis.

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„So, das sollte wirken“, sagte sie zu sich selbst. Unvermittelt begann sie hüpfend um den Kreis zu tanzen, murmelte dabei einen schrägen Gesang. Nach fünf Runden stieß sie plötzlich einen schrillen Schrei aus, so dass ich mich schon sehr erschreckte. „Gut, das war’s. Nun bleibt nur noch meine Bezahlung zu klären.“ Sie zog ein scharfes Steinmesser aus ihrem Gürtel und ging zum Schwanz der Füchsin. „Hey, was hast du vor?“, wollte ich wissen. „Ich nehme mir ein dickes Büschel ihrer roten Schwanzhaare für einen Mantel oder eine Decke.“ Ich blieb still, denn niemand diskutierte mit „Zottelhaar“ über ihre Bezahlung.

„Naja, besser ein Loch im Schwanzfell als todkrank“, dachte ich bei mir. Und schon kletterte die Heilerin in ihre Hütte und klackerte davon. Tatsächlich ging es der Füchsin am nächsten Tag etwas besser und noch drei Tage später konnte sie wieder springen und laufen wie vor dem Riesengift. „Vielen Dank für deine Hilfe“, sagte sie mit einem schelmischen Grinsen. „Du hast mich gerettet, auch wenn meine Schönheit etwas gelitten hat.“

Da hatte sie recht, immerhin war alles gut ausgegangen. So, das war’s für dieses Mal, bis bald mit einer neuen Geschichte.

Text: Michael Dodt, Illustration Manuela Tolksdorf