Zunächst einmal möchte ich mich vorstellen, ich bin „Weiser Weissbart“, einer der Ältesten der kleinen Völker. Es gibt viele Verschiede von uns, ich gehöre zu denen „Die in den Bäumen leben“. Es gibt auch noch „Die in der Luft schweben“, „Die unter der Erde wohnen“, „Die auf Molchen und Fröschen reiten“, „Die Steinernen“ und viele andere mehr.
In den heutigen Tagen unterrichte ich meistens die Kinder, aber in der dunklen und kalten Jahreszeit wie jetzt bin ich auch, ohne falsche Bescheidenheit, einer der besten Geschichtenerzähler meines Volkes, wenn wir uns an magischen Feuern erwärmen und wir uns drinnen im Baum versammeln.
Um diese Jahreszeit zu überstehen müssen wir immer genügend Vorräte haben, die wir in der bunten Jahreszeit, wenn die Blätter fallen, gesammelt haben. Früher, als ich noch jünger war, gehörte ich zu den besten Nuss- und Eichelsammlern, aus dieser Zeit stammt meine heutige Geschichte.
Ich war unter der größten Eiche in unserem Reich auf der Suche nach ihren Früchten, als ich plötzlich ein lautes Krächzen hörte. „Meckert viel“ saß ein gutes Stück entfernt auf der Erde und hatte eine große Walnuss im Schnabel. „Meckert viel“ war ein Eichelhäher, dessen Federkleid genauso bunt war wie seine Stimme kratzig. „Das ist meine Nuss, bleib bloß weg“ krächzte er in meine Richtung. Ich ignorierte ihn, denn ich hatte schon genug Eicheln gefunden, mehr konnte ich gar nicht tragen. Auch wenn so eine Walnuss natürlich leckerer ist.
„Meckert viel“ flog auf eine Kiefer und versteckte die Nuss in einem Astloch. Dann segelte er in Richtung Bach davon. „Soso, das kommt mir ja sehr gelegen“ hörte ich eine Stimme in meinem Rücken. Vor Schreck ließ ich fast den Sack mit den Eicheln fallen. Hinter mir saß, gut versteckt durch die Wurzeln der Eiche, „Dreister Dieb“, ein Eichhörnchen. „Keine Angst, deine Eicheln will ich nicht, ich nehme lieber die Walnuss“. Mir fiel ein großer Stein vom Herzen, denn „Dreister Dieb“ war durchaus als Raufbold bekannt und um einiges größer als ich.
Normalerweise beobachten die Eichelhäher die Eichhörnchen und merken sich, wo sie ihre Vorräte vergraben, um sie dann zu stehlen. „Dreister Dieb“, der sich selber lieber „Schlauer Dieb“ nannte, hatte den Spieß herumgedreht, das sparte ihm viel Arbeit und Mühe. Er kletterte die Kiefer hinauf, steckte seine Pfoten in das Astloch und begann, die Nuss zu knacken und zu verspeisen. Ich schnappte mir noch ein, zwei Krümel die herunterfielen und machte mich dann schnell auf zu unserer Weide, um die gesammelten Eicheln in Sicherheit zu bringen. Nicht dass sich das Eichhörnchen die Sache noch anders überlegte und mir doch noch die Eicheln wegnahm.
So, das war’s für heute, das nächste Mal gibt es eine andere Geschichte.
Text: Michael Dodt, Zeichnungen: Manuela Tolksdorf