Da bin ich wieder, „Weiser Weißbart“ mit einer neuen Geschichte für euch. Es ist schon einige Sommer her, als es eine lange Zeit bei uns nicht mehr geregnet hatte. Der Fluss war nur noch ein Rinnsal, auch unsere Teiche wären schon längst fast ausgetrocknet, wenn sie nicht von den Riesen mit frischem Wasser versorgt worden wären. Viele vom „Kleinen Volk“ fragten mich, ob ich eine Idee hätte, was wir dagegen unternehmen könnten. Ich musste ganz schön lange nachdenken, bis mir etwas einfiel.
Dann erinnerte ich mich an eine alte Geschichte, die mir die „Reisenden“ erzählt hatten. In einem weit entfernten Land regnete es oft lange nicht. Die dort lebenden Clans hatten ein Ritual, mit dem sie die Geister von Wasser und Luft beschworen, damit sie sich vereinigten und es regnete. Das wirkte so gut, dass es sogar von den Riesen angewendet wurde. Ich kochte mir eine Kanne Tee und versuchte mir in Erinnerung zu rufen, wie es genau ausgeführt wurde.
Nach und nach fiel mir alles wieder ein. Wir brauchten dazu zwei Frösche, bunte Blütenblätter, Kurkumapulver, ein Gewürz aus einer gelben Wurzel und ganz viel Musik. Ich berief eine Versammlung aller Clans ein und wir machten uns an die Vorbereitung des Rituals. „Schönbein“ und „Glanzhaar“ kümmerten sich um die Frösche, „Bienentänzer“ machte sich mit ein paar Helfern auf die Suche nach passenden Blüten, „Die in der Luft schweben“ übernahmen die Musik und die „Steinernen“ bauten alles Nötige auf. Für das Kurkumapulver sorgten „Die unter der Erde wohnen“ und die sorgfältige Durchführung des Rituals war meine Aufgabe.
Am Libellenteich überredeten die beiden jungen Frauen „Quaktasche“ und „Sprungbein“, zwei Grasfrösche, sich für die Hochzeit zur Verfügung zu stellen. Allerdings verlangten die beiden als Belohnung einen Sack voller Fliegen. Also bat ich einige von uns, „Die in den Bäumen leben“, diese Aufgabe zu erledigen. Dann machte ich mich auf den Weg zum Schattenweiher, um mich auf das Ritual vorzubereiten.
Dort hatten bereits die „Steinernen“ mit dem Aufstellen von Sitzbänken für die Älteren unter uns begonnen, dazu errichteten sie eine provisorische Bühne für die Musiker. Mitten in dem Teich blühte eine wunderschöne rosa Seerose, das perfekte Zentrum für unsere Zeremonie. Nach und nach trafen alle ein und versammelten sich um den Schattenweiher. „Schönbein“, „Glanzhaar“, die zwei Frösche und ich kletterten über die Seerosenblätter bis zur rosa Blüte. Dort rieben die beiden Frauen die „Quaktasche“ und „Sprungbein“ mit dem Kurkumapulver ein und schmückten sie mit den Blütenblättern. Dann gesellte sich auch „Vierflügel“ zu uns, die den Gesang übernehmen wollte.
Auf mein Zeichen begannen die Musiker zu spielen, eine langsame und traurige Melodie, deren Wirkung perfekt von der Stimme der Sängerin verstärkt wurde. Nach dem Lied begann ich mit meiner Anrufung unserer Helfer, wobei mich immer schneller werdende Trommeln unterstützten. „Oh ihr Geister von Luft und Wasser, wir bitten euch um eure Hilfe. Vereint euch und bringt uns den lange ersehnten Regen. Wir und alle Wesen auf Mutter Erde brauchen ihn dringend. Bitte schenkt ihn uns und nehmt unseren Segen an.“
Dann begannen wieder die Musiker zu spielen, „Vierflügel“ stimmte ihren wunderbaren Gesang an, wobei die Lieder langsam immer schneller und fröhlicher wurden. Viele von uns fingen an zu tanzen, manche alleine oder zu zweit, aber es bildeten sich auch einige Reigen. Dann erschienen tatsächlich die ersten Wolken am Himmel, erst nur wenige, aber es wurden immer mehr. Und sie wurden immer dunkler. Als die Musik ihren Höhepunkt erreichte, fielen auch die ersten Regentropfen. Erst waren sie ganz fein, aber sie wurden schnell immer dicker. Wir alle jubelten laut und ich bedankte mich in Gedanken bei den Geistern von Luft und Wasser.
Der Regen wusch den beiden Frösche ihren Schmuck ab und wurde so stark, dass wir uns fast alle unterstellten. Außer einige von denen „Die auf Fröschen und Molchen reiten“, die liebten Wasser mehr als wir anderen und genossen das kühlende Nass. Aber wir waren alle glücklich und zufrieden. Es regnete so lange, bis sogar der fast ausgetrocknete Fluss wieder ein kleiner Bach wurde.
Wir genossen unseren Erfolg und feierten noch einige Zeit, aber dann machten sich nach und nach machten alle wieder auf den Weg nach Hause. Nass aber erleichtert, dass unser Ritual uns den ersehnten Regen gespendet hatte. So, das war’s für dieses Mal bis bald mit einer neuen Geschichte.
Illustrationen: Manuela Tolksdorf, Text: Michael Dodt