Der verlassene Kaninchenbau

Da bin ich wieder, „Weiser Weißbart“,  mit einer neuen Geschichte für euch. Wie ihr bestimmt noch wisst, unterrichte ich bei uns oft die Kinder vom Kleinen Volk.  Anders als bei euch Riesen haben wir keine Schulen, der Unterricht findet bei uns draußen in der Natur statt. Dort können unsere Kinder alles sehen, riechen, hören, schmecken und  berühren. Wenn es zu doll regnet oder zu kalt ist, erzähle ich in meinem Baum Geschichten, zu denen die Kinder viele Fragen stellen. So lernen sie auch dazu.

Vor ein paar Tagen wollte ich eigentlich ich den Kleinen die Mauersegler zeigen, Vögel ähnlich wie die Schwalben, die fast ihr ganzes Leben fliegend verbringen. Aber dann kam alles ganz anders. Als ich ankam standen schon alles in einer großen Gruppe zusammen und redeten aufgeregt durch einander. „Was ist denn los?“, wollte ich wissen. „Ich war bis gestern mit meiner Mutter bei Verwandten zu Besuch, die ganz weit weg in einem großem Park leben“, plapperte „Viele Zöpfe“, ein Mädchen aus dem Clan „Die auf Fröschen und Molchen reiten“, aufgeregt los. Dort gab es ganz viele Tiere, die ich hier noch nie gesehen habe. Meine Mama sagte, das sind Kaninchen.“

„Ja, die gab es früher auch hier, aber das ist schon lange her. Da wart ihr alle noch nicht geboren“, sagte ich. „Aber die sind so niedlich“, fuhr „Viele Zöpfe“  fort. „Sie tobten auf einer großen Wiese umher, Erwachsene und Junge alle miteinander. Dann fing plötzlich einer an mit den hinteren Beinen zu trommeln und kurz danach waren alle plötzlich zwischen Büschen und Sträuchern verschwunden. Sie hatten eine Katze entdeckt, die versuchte sich anzuschleichen.“ „Das Trommeln ist ein Warnzeichen, dann verstecken sie sich in ihrem Bau“, erklärte ich den Kindern.

„Aber kurz danach waren alle schon wieder auf der Wiese“; fuhr das Mädchen fort. „Dann stieß eines von ihnen einen ganz schrillen, langgezogenen Schrei aus. Und ganz schnell waren alle wieder verschwunden. Ein Habicht schoss über den Rasen, aber er kam zu spät.“  „Tatsächlich haben die Kaninchen viele Feinde, Katzen, Greifvögel wie der Habicht, aber auch Füchse und Hunde. Daher müssen sie ständig wachsam sein“, sagte ich. „Wir können uns jetzt einen alten Bau von ihnen ansehen, er ist nicht weit von hier entfernt.“

„Auja“, freuten sich die Kinder. „Schade, dass es sie hier nicht mehr gibt“, kam von „Viele Zöpfe“. Die sind so süß, eines von ihnen hat mich sogar kurz auf sich reiten lassen.“ „Wollen wir denn jetzt los?“, warf ich ein. „Auja“, kam es ein zweites Mal und dann marschierten wir tatsächlich los.

Der Kaninchenbau war nicht weit entfernt. Vor dem Eingang war ein großer Erdhaufen zu sehen. „Wenn die Hoppler ihren Bau graben bewegen sie ganz viel Erde, die liegt hier“, erklärte ich den Kindern. Der Eingang war wirklich sehr hoch und breit, mehr als fünfmal so groß wie wir vom Kleinen Volk. Der Gang dahinter war sehr lang, wurde mit der Zeit aber immer schmaler. Wir zündeten unsere Fackeln an, denn hier drinnen war es stockdunkel. Nach einem ordentlichen Marsch erreichten wir eine große Höhle. „Hier wohnten die Kaninchen, es war genug Platz für alle. Hier haben sie sich zusammen gekuschelt, geschlafen und sich gegenseitig ihr Fell geputzt“; erklärte ich. „Das ist ja echt riesig hier“, staunten die Kinder.

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„Aber es gibt noch viel mehr zu entdecken“, sagte ich. „Kommt mit.“ Wir gingen zum Rand der großen Höhle,  wo es viele kleinere Höhlen gab. Im Gegensatz zur Großen lag hier noch altes Laub, Fellbüschel und Stroh herum. „Hier haben sie ihre Jungen geboren, ganz nackt und blind für die erste Zeit“, fuhr ich fort. „Deshalb auch das ganze Zeug, damit die Babys es warm und gemütlich hatten. Auf dem Weg nach draußen nehmen wir einen anderen Tunnel, dann erfahrt ihr noch etwas mehr über die Kaninchen.“

Ich führte unsere Schar zu einem anderen Tunnel, der viel schmaler und niedriger war. Für uns immer noch recht groß, aber gerade so hoch und breit, das ein Kaninchen gut durchpasste. Am Ende schien plötzlich das Tageslicht von oben auf uns herab. „Nun wird es sportlich, wir klettern jetzt da hoch“, sagte ich. „Hurrah“, jubelten die Kinder und schnell ging es steil nach oben.

Wir kamen unter einem Strauch oben an, alle etwas schmutzig von der Kraxelei. „Jetzt verstehe ich auch, wie die Kaninchen so schnell auf der Flucht verschwinden konnten“; stellte „Viele Zöpfe“  fest. „Sie mussten sich ja nur in den Eingang plumpsen lassen. Ganz schön schlau von ihnen. Und warum gibt es sie hier bei uns nicht mehr?“, wollte sie wissen. „Bei ihnen hatte sich eine schwere Krankheit ausgebreitet, die ihre Augen zu schwellen  ließ. Bei so vielen Kranken konnten wir auch mit unserer Gabe nicht helfen.“

„Wie schade“, kam von den Kindern. „Aber denen von „Viele Zöpfe“ geht es ja gut.“ „Genauso ist es, die Welt der Natur ist in einem ständigem Wandel“, schloss ich. „Das war’s für heute mit dem Unterricht, habt alle noch einen schönen Tag!“

Für mich wurde es jetzt Zeit für einen gemütlichen Tee und bis bald mit einer neuen Geschichte.

Zeichnungen: Manuela Bigl, Text: Michael Dodt

Das etwas andere Spinnenetz

Da bin ich wieder, „Weiser Weißbart“, mit einer neuen Geschichte für euch. Ich hatte gerade meinen Nachmittagstee ausgetrunken, als ich plötzlich an „Baumeisterin“, die Gartenkreuzspinne, denken musste. Gestern hatte sie sich mal wieder gehäutet, denn so wachsen die Spinnen. Ich machte mich auf den Weg zur Leckerwiese, um zu sehen, wie es ihr so ergangen war.

Bevor ich sie überhaupt sehen konnte hörte ich schon ihre Stimme. „Oh nein, wie konnte das nur mir passieren“, klagte sie. „Jetzt bin ich keine richtige Spinne mehr und werde verhungern!“ Ich ging zu ihr: „Was ist denn los, alte Freundin?“, fragte ich sie. „Wird die neue  Haut nicht trocken?“ „Doch schon, das ist es nicht“, antwortete sie. „Aber ich kann keine Spinnfäden zum Netzbau mehr machen!“

„Wie kann das denn sein, von so etwas habe ich ja noch nie gehört“, sagte ich ratlos. „Ich weiß es auch nicht, aber ich kann nur noch die Klebetröpfchen erzeugen.“ Spinnen fangen ihre Nahrung in einem Netz, das sie selber herstellen.  An speziellen Fäden mit den Klebetröpfchen bleiben die Fliegen und anderen Insekten hängen, von denen sich die Spinne ernährt. Aber ohne Netz nutzten auch die Klebetröpfchen nichts. „Hmmm, lass mich mal in Ruhe nachdenken, mir fällt bestimmt etwas ein“, versuchte ich sie zu trösten.

Ich ging zurück nach Hause und zerbrach mir den Kopf, aber es dauerte dieses Mal echt lange, bis mir etwas einfiel. „Baumeisterin“ hätte sich natürlich mit einer anderen Spinne zusammentun können, aber leider sind Spinnen absolute Einzelgänger. Dann kam ich auf den Clan „Die auf Fröschen und Molchen reiten“. Sie konnten sehr feine Kleidungsstücke herstellen, meist aus Pflanzenfasern. Wollgrasfasern waren die Lösung! Vor allem, wenn sie erst von den „Steinernen“ so bearbeitet wurden, das sie fast durchsichtig waren.

Ich ging zu „Kieselgrund“ und fragte ihn, ob er das machen könnte. „Ja klar, es wird aber mehr als einen Tag dauern.“ „Sehr schön“, freute ich mich, und machte mich auf den Weg, um mit Hilfe einiger Freunde genügend Wollgras zu sammeln. Das brachten wir zu dem „Steinernen, der sich sofort an die Arbeit machte. Danach machte ich mich auf  zu „Schönbein“ und „Glanzhaar“. Ich erzählte ihnen von meinem Plan um die Spinne zu retten. „Schön“, sagte „Glanzhaar“, „aber was haben wir damit zu tun?“ „Ihr beiden könntet für „Baumeisterin“ ein feines Netz aus den Pflanzenfasern weben, damit sie sich wieder ihr Essen fangen kann“, schlug ich vor.

„Na gut, aber erst morgen, heute haben wir schon mehr als genug zu tun“, willigte „Schönbein“ ein. Ich war sehr erleichtert, denn die beiden konnten manchmal etwas schwierig sein. Daher wollte ich auch gar nicht wissen, was sie denn heute so wichtiges zu tun hatten. Außerdem war „Kieselgrund“ eh erst morgen mit seiner Vorarbeit fertig.

Sodann machte mich auf, um der Spinne die guten Nachrichten zu überbringen. „Das ist toll“, freute sie sich. „Vielen Dank für deine Hilfe, und die der anderen.“ „Spätestens morgen Mittag hast du ein neues Spinnennetz, das noch dazu sehr lange haltbar ist, also bis morgen“, verabschiedete ich mich. „Schlaf gut“, antwortete „Baumeisterin“.

Am nächsten Morgen machte ich mich mit ein paar Helfern auf zu den „Steinernen“, um das bearbeite Wollgras abzuholen. Gemeinsam brachten wir es zu „Schönbein und „Glanzhaar“. „Ich hoffe, das Zeug stinkt nicht“, sagte die eine. „Sonst rühren wir es nicht an“, fügte die andere hinzu. Aber es war alles in Ordnung und die beiden versprachen mir, das Netz zu weben und auf der Leckerwiese auf zu hängen.

Ich ließ den beiden genügend Zeit für ihre Aufgabe, bevor ich die Spinne holen ging.  „Unglaublich“, freute sie sich. „Das sieht ja fast so aus als hätte ich es mit den Fäden aus meinem Leib selber gesponnen.“ „Na ja, wir haben eben viele Talente“, antwortete „Schönbein“. „Das war eine Kleinigkeit für uns“, ergänzte ihre Freundin. „Aber jetzt müssen wir ganz schnell los!“  „Vielen Dank euch allen“, sagte „Baumeisterin“ noch, aber ich glaube nicht, das die beiden das noch hören konnten.

Sie kletterte in ihr neues Netz und begann einige Fäden mit Hilfe ihrer Klebetröpfchen in Fangfäden zu verwandeln. Ich schaute ihr noch einige Zeit zu, bevor ich mich auf den Weg nach Hause machte. „Tschüß und viel Erfolg“, verabschiedete ich mich, aber sie war so konzentriert bei ihrer Arbeit, das sie mich nicht hörte. Erfreut, ihr geholfen zu haben, schlenderte ich durch die Abendsonne und freute mich auf einen ruhigen Abend.

So, das war’s mal wieder, bald gibt es eine neue Geschichte.

Illustrationen: Manuela Tolksdorf, Text: Michael Dodt

Der kleine Igel

Da bin ich wieder, „Weiser Weißbart“, mit einer neuen Geschichte für euch. Neulich war ich ein paar Tage verreist, um alte Freunde zu besuchen, die ich lange nicht mehr gesehen hatte. Wir hatten eine schöne Zeit mit vielen Geschichten, alten wie neuen, gemütlichem Zusammensitzen und langen Spaziergängen. Aber ich freute mich auch sehr, wieder nach Hause zu kommen.

Die ersten, die mir dort begegneten, waren „Schönbein“ und „Glanzhaar“. Ich hätte sie fast nicht erkannt: Statt wie sonst üblich mit sorgfältiger Frisur und besonders schicker Kleidung waren sie mit Erdflecken überseht und ihre Haare waren strähnig. „Was ist denn mit euch passiert?“, wollte ich wissen. „Garnichts, keine Zeit“, war die knappe Antwort und schon waren sie wieder verschwunden. Ich zuckte mit den Schultern und ging erst einmal nach Hause. Das sah den beiden zwar gar nicht ähnlich, aber schließlich waren sie alt genug.

Nachdem ich einen Tee aufgesetzt  und alle Fenster zum Lüften geöffnet hatte, hörte ich draußen laute Stimmen. „Mach schneller „Feine Feder“, das dauert viel zu lange!“ „Mecker‘ mich bloß nicht an, ich tue schon was ich kann um diesen Vielfraß satt zu bekommen“, antwortete das Rotkehlchen. „Außerdem muss ich auch etwas für mich fangen, schließlich habe auch ich Hunger“, und flog weiter. Zwei von denen „Die unter der Erde leben“ mühten sich mit einer Weinbergschnecke ab, die so groß wie sie selber war. Was ging hier vor?

Ich war neugierig geworden und machte mich auf den Weg nach draußen. Normalerweise sah man die „Die unter der Erde leben“ nur selten hier oben, und ihre Beute transportierten sie meist unterirdisch. „Was macht ihr denn mit der Schnecke?“, fragte ich sie. „Keine Zeit, wir müssen den Kleinen füttern“, antworteten sie und zogen mit ihrem Fang weiter. „Sehr merkwürdig, keiner hat Zeit und alle benehmen sich ganz anders als sonst“, dachte ich bei mir. Ich holte mir eine Jacke gegen die Herbstkälte und folgte ihnen.

Sie verschwanden in einem großen Laubhaufen. Ich näherte mich langsam bis ich aufgeregte Stimmen hören konnte. „Ich kann nicht mehr, ich bin völlig fertig“, jammerte Glanzhaar. „Außerdem riecht er nicht gut.“  „Auch wir sind am Ende unserer Kräfte“, sagten „Die unter der Erde leben.“ „Ich auch!“, das klang nach „Feine Feder“. „Dann müssen wir eben „Zottelhaar“ um Hilfe bitten“, schlug „Schönbein“ vor. „Oh nein, nicht diese Person“, protestierte ihre Freundin.

Ich folgte den Stimmen in den Laubhaufen. Drinnen war eine Höhle gebaut worden, in der alle Platz hatten. Sie standen im Kreis um einen sehr kleinen Igel. Darum ging es also. „Na, was macht ihr denn mit dem Igel“, fragte ich sie. „Naja, er ist viel zu klein und völlig entkräftet“, antwortete „Schönbein“. „Aber er ist ja so süß!“ „Deswegen haben wir alle zusammengetrommelt, um uns zu helfen ihn wieder aufzupäppeln“, ergänzte „Glanzhaar“. „Aber egal wie süß, wir schaffen es einfach nicht! Also müssen wir wohl doch „Zottelhaar“ um Hilfe bitten.“

„Nun mal langsam“, warf ich ein. „Lasst mich mal kurz nachdenken.“ „Zottelhaar“ war eine genauso mächtige wie auch eine schwierige Person. Ich schaute mir den Igel sehr genau an. Er roch wirklich nicht gut, und sein Nacken war eingefallen. Es ging ihm sehr schlecht. So würde er nicht durch den Winter kommen. Dann fielen mir die Riesen ein. Sie retteten kranke und zu schwache Igel.

„Die Riesen machen hinten bei ihrem großen Baumhaus Feuer“, sagte ich. „Das bedeutet, dass sie nachher wieder eine Gruppe kleiner Riesen hier durchführen. Wir schaffen den Kleinen dort hin, und wenn sie ihn finden, werden sie sich um ihn kümmern. Außerdem ist es in der Nähe des Feuers schön warm.“ „Aber wie bekommen wir ihn da hin?“, wollte „Schönbein“ wissen. „Er ist zu schwach, um selber zu laufen, und wir können ihn nicht so weit schieben.“

„Magst du zu den „Steinernen“ fliegen“, bat ich „Feine Feder“. „Bitte zwei von ihnen um Hilfe, und sie möchten einen ihrer Transportwagen mitbringen.“ So klein wie der Igel war würde er auf den Wagen passen und die „Steinernen“ waren stark genug um ihn zu ziehen. Das Rotkehlchen flog los. „Und was machen wir jetzt?“; fragte „Glanzhaar“. „Ihr geht alle nach Hause und ruht euch aus“, schlug ich vor. „Außerdem solltet ihr beiden mal in den Spiegel schauen.“ Das konnte ich mir einfach nicht verkneifen.

Erleichtert und völlig erschöpft machten sich alle außer mir auf den Weg. Ich wartete auf die „Steinernen“ und half ihnen dann, den Igel vorsichtig auf den Wagen zu schieben. Beim Transport brauchten sie meine Hilfe nicht, aber ich ging trotzdem mit. Wir suchten einen Platz in der Nähe des Feuers und luden unseren kleinen Freund sanft ab. Ich bedankte mich bei den „Steinernen“ für ihre Hilfe, bevor sie sich auf den Weg nach Hause machten. Ich blieb noch, bis der Riese der das Feuer machte den Igel entdeckte. „Oh, ein kleiner Igel. Sehr klein. Und sein Nacken ist eingefallen“, stellte er fest. „Sehr gut, du kennst dich mit Igeln aus“, freute ich mich in Gedanken.

Er polsterte eine kleine Holzkiste mit etwas Laub aus und setzt den Igel vorsichtig hinein. „Keine Angst mein Kleiner, ich weiß wo wir dich aufpäppeln.“  Da jetzt alles getan, war was wir tun konnten, machte auch ich mich auf den Weg zu meiner Wohnung. Auf dem Weg dahin hörte ich plötzlich schrille Stimmen. „Wie sehen wir denn aus, wie konnte uns das bloß passieren“, jammerten „Schönbein“ und „Glanzhaar“. Den Rest des Tages waren sie wohl mit Schönheitspflege beschäftigt.

Und ich konnte endlich meine Tasse Tee genießen, gelüftet war jetzt auch genug. Bis zum nächsten Mal mit einer neuen Geschichte.

Illustrationen: Manuela Tolksdorf, Text: Michael Dodt

Der verträumte Kranich

Ich, „Weiser Weißbart“, habe wieder eine neue Geschichte für euch. Es geschah im letzten Herbst, die Jahreszeit, die wir vom Kleinen Volk auch die Zeit der bunten Blätter nennen. Es wurde schon langsam dunkel, als plötzlich ein sehr großer Vogel recht dicht über mich hinweg flog. Er schien auf der Leckerwiese landen zu wollen. Kurz danach hörte ich seine lauten Rufe. „Oh nein, ich habe die anderen verloren. Was soll ich denn jetzt hier ganz alleine machen?“

Ich ging dem Klang seiner Stimme nach und fand ihn mitten zwischen den Obstbäumen. „Nicht erschrecken, ich bin’s nur,  „Weiser Weißbart“ aus dem Clan „Die in den Bäumen leben“, sagte ich. Ein bisschen erschrak er doch, dabei war er so groß wie zehn von uns. „Oh, da unten bist du. Ich bin „Traumtänzer“, ein junger Kranich“, stellte er sich vor. „Und was machst du hier so ganz alleine?“, wollte ich wissen.

„Oh, das ist eine traurige Geschichte“, antwortete er. „Ich war mit meiner Familie und vielen anderen Kranichen auf dem Weg in unser Winterquartier. Aber dann habe mich von einer Schar Graugänse ablenken lassen, die ganz viel schnatterten und ich bin sehr neugierig. Als ich dann wieder zu den anderen wollte, waren sie schon weg. Also habe ich mir diesen Landeplatz gesucht, denn ich mag nicht alleine im Dunkeln fliegen.“

„Ach, aber so schlimm ist das doch nicht. Dann wartest du bis zum Sonnenaufgang und fliegst den anderen nach“; versuchte ich ihm Mut zu machen. „Aber ich kenne den Weg nicht, es mein erstes Mal. Ich weiß, wir fliegen nach den Kraftlinien der Erde, dem Stand der Sonne und der Sterne oder der Landschaft unter uns. Aber ich habe noch keine Ahnung wie das genau geht, das muss ich erst noch von den Älteren lernen.“

Ich überlegte kurz. „Na gut, dann fliegst du morgen mit den ersten Kranichen, die vorbei kommen, weiter.“ „Ich weiß nicht, mit lauter Fremden“, quengelte „Traumtänzer“. „Nun schlaf erst mal“, antwortete ich. „Morgen früh sehen wir weiter.“ „Na gut“, stimmte er mir zu. Er steckte den Kopf zwischen seine Federn und ich machte mich auf den Weg zu meinem Bett.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, regnete es und es wehte ein starker Wind. Nach einem leckeren Frühstück und einer Tasse Tee machte ich mich auf den Weg  zu „Traumtänzer“. „Na, hast du gut geschlafen“, fragte ich ihn. „Es ging so“, kam zur Antwort. „Aber ich habe schon ein paar Schnecken und Regenwürmer zum Frühstück gefressen. Bei dem starken Wind aus der falschen Richtung  können wir nicht fliegen, es werden also auch keine anderen Kraniche vorbei kommen. Was soll ich denn jetzt machen?“

„Warte mal ab, uns fällt schon etwas ein. Wie sieht es denn dort aus, wo ihr die kalte Jahreszeit verbringt?“, wollte ich wissen. „Ich war ja noch nie da, aber die anderen erzählten von vielen Eichen, steinbedeckten Hügeln, Reisfeldern und viel Wasser. Und es gibt dort ganz wenig von denen, die ihr Riesen und wir „Viel-zu-viele“  nennen. Und es ist dort viel wärmer als in unserem Sommerquartier.“

„Hast du denn schon einmal mit den Riesen zu tun gehabt?“, fragte ich ihn. „Au ja, schau dir die Ringe um meine Beine an. Sie haben mich und meine Schwester „Naseweis“ eingefangen, als wir noch nicht fliegen konnten. Unsere Eltern sind weggeflogen, wir zwei haben uns versteckt. Aber sie haben uns erwischt und diese Ringe um unsere Beine gemacht. Am linken Bein bei uns beiden  rot-schwarz-rot, am rechten bei mir nur schwarz. Meine Schwester hat am rechten Bein blau-rot-orange. Es hat nicht wehgetan, aber wozu das gut sein soll wissen nur die „Viel-zu-viele.“

Tja, das konnte ich mir auch nicht erklären, aber die Riesen machten viele merkwürdige Dinge. Leider wehte der Wind noch mehrere Tage recht stark, also nutzten wir die Zeit, um uns Geschichten zu erzählen. „Traumtänzer“ berichtete vom Land seiner Geburt, wo es viele Seen und wenig Riesen gab. Aber dafür Bären, Wölfe, Elche und viele andere Tiere, die es hier gar nicht oder nur ganz selten gab. Aber er wurde immer unruhiger, je länger der starke Wind anhielt. Dann fiel mir etwas ein.

Ich wusste von einem Ort hier ganz in der Nähe, wo seit einigen kalten Jahreszeiten die Kraniche nicht mehr wegflogen. Hier war es die letzten Jahre meistens warm genug, so dass sie hier bleiben konnten. Ich erzählte ihm davon und er überlegte kurz. „Das klingt gut, aber wie soll ich den finden“; wollte er wissen. „Hmm, ich könnte auf deinem Rücken mitfliegen, aber für einen vom Kleinen Volk dauert der Rückweg ewig“, antwortete ich. Dann fiel mir „Fliegt gern weit“, die Kanadagans ein. „Ich weiß da jemand, der dir den Weg zeigen kann und der schnell wieder hier ist.“

Ich hatte sie erst heute Morgen gesehen, am Libellenteich, wo sie uns manchmal besuchte. Jetzt war es auch für sie zu windig, um weiter zu fliegen. Ich machte mich auf den Weg zu ihr und erzählte ihr von „Traumtänzers“ Problem. „Klar, sobald der Wind etwas nachlässt, kann ich ihm den Weg zeigen“, sagte sie. „Das mache sogar sehr gerne, ich bin noch nie mit einem Kranich geflogen.“

„Traumtänzer“ war auch begeistert und so machten sie sich ein paar Tage später auf den Weg. So, das war’s mal wieder bis bald mit einer neuen Geschichte.

Illustrationen: Manuela Tolksdorf, Text. Michael Dodt

Die vielen Gesichter des Herbstes

Der Herbst ist nicht nur die Zeit der bunten Blätter,

der heftigen Stürme

und des Nebels,

sondern auch der Spätblüher,

der Pilze

und viele Obstsorten, die jetzt geerntet werden können.

Die Zugvögel ziehen in wärmere Gefilde

und die Eichhörnchen sammeln Vorräte für den nahenden Winter.

Auch bei uns auf dem Naturerlebnispfad gibt es jetzt ganz viel zu entdecken.

Text und Fotos Michael Dodt

Die Froschhochzeit

Da bin ich wieder, „Weiser Weißbart“ mit einer neuen Geschichte für euch. Es ist schon einige Sommer her, als es eine lange Zeit bei uns nicht mehr geregnet hatte. Der Fluss war nur noch ein Rinnsal, auch unsere Teiche wären schon längst fast ausgetrocknet, wenn sie nicht von den Riesen mit frischem Wasser versorgt worden wären. Viele vom „Kleinen Volk“ fragten mich, ob ich eine Idee hätte, was wir dagegen unternehmen könnten. Ich musste ganz schön lange nachdenken, bis mir etwas einfiel.

Dann erinnerte ich mich an eine alte Geschichte, die mir die „Reisenden“ erzählt hatten. In einem weit entfernten Land regnete es oft lange nicht. Die dort lebenden Clans hatten ein Ritual, mit dem sie die Geister von Wasser und Luft beschworen, damit sie sich vereinigten und es regnete. Das wirkte so gut, dass es sogar von den Riesen angewendet wurde. Ich kochte mir eine Kanne Tee und versuchte mir in Erinnerung zu rufen, wie es genau ausgeführt wurde.

Nach und nach fiel mir alles wieder ein. Wir brauchten dazu zwei Frösche, bunte Blütenblätter, Kurkumapulver, ein Gewürz aus einer gelben Wurzel und ganz viel Musik. Ich berief eine Versammlung aller Clans ein und wir machten uns an die Vorbereitung des Rituals. „Schönbein“ und „Glanzhaar“ kümmerten sich um die Frösche, „Bienentänzer“ machte sich mit ein paar Helfern auf die Suche nach passenden Blüten, „Die in der Luft schweben“ übernahmen die Musik und die „Steinernen“ bauten alles Nötige auf. Für das Kurkumapulver sorgten „Die unter der Erde wohnen“ und die sorgfältige Durchführung des Rituals war meine Aufgabe.

Am Libellenteich überredeten die beiden jungen Frauen „Quaktasche“ und „Sprungbein“, zwei Grasfrösche, sich für die Hochzeit zur Verfügung zu stellen. Allerdings verlangten die beiden als Belohnung einen Sack voller Fliegen. Also bat ich einige von uns, „Die in den Bäumen leben“, diese Aufgabe zu erledigen. Dann machte ich mich auf den Weg zum Schattenweiher, um mich auf das Ritual vorzubereiten.

Dort hatten bereits die „Steinernen“ mit dem Aufstellen von Sitzbänken für die Älteren unter uns begonnen, dazu errichteten sie eine provisorische Bühne für die Musiker. Mitten in dem Teich blühte eine wunderschöne rosa Seerose, das perfekte Zentrum für unsere Zeremonie. Nach und nach trafen alle ein und versammelten sich um den Schattenweiher. „Schönbein“, „Glanzhaar“, die zwei Frösche und ich kletterten über die Seerosenblätter bis zur rosa Blüte. Dort rieben die beiden Frauen die „Quaktasche“ und „Sprungbein“ mit dem Kurkumapulver ein und schmückten sie mit den Blütenblättern. Dann gesellte sich auch „Vierflügel“ zu uns, die den Gesang übernehmen wollte.

Auf mein Zeichen begannen die Musiker zu spielen, eine langsame und traurige Melodie, deren Wirkung perfekt von der Stimme der Sängerin verstärkt wurde. Nach dem Lied begann ich mit meiner Anrufung unserer Helfer, wobei mich immer schneller werdende Trommeln unterstützten. „Oh ihr Geister von Luft und Wasser, wir bitten euch um eure Hilfe. Vereint euch und bringt uns den lange ersehnten Regen. Wir und alle Wesen auf Mutter Erde brauchen ihn dringend. Bitte schenkt ihn uns und nehmt unseren Segen an.“

Dann begannen wieder die Musiker zu spielen, „Vierflügel“ stimmte ihren wunderbaren Gesang an, wobei die Lieder langsam immer schneller und fröhlicher wurden. Viele von uns fingen an zu tanzen, manche alleine oder zu zweit, aber es bildeten sich auch einige Reigen. Dann erschienen tatsächlich die ersten Wolken am Himmel, erst nur wenige, aber es wurden immer mehr. Und sie wurden immer dunkler. Als die Musik ihren Höhepunkt erreichte, fielen auch die ersten Regentropfen. Erst waren sie ganz fein, aber sie wurden schnell immer dicker. Wir alle jubelten laut und ich bedankte mich in Gedanken bei den Geistern von Luft und Wasser.

Der Regen wusch den beiden Frösche ihren Schmuck ab und wurde so stark, dass wir uns fast alle unterstellten. Außer einige von denen „Die auf Fröschen und Molchen reiten“, die liebten Wasser mehr als wir anderen und genossen das kühlende Nass. Aber wir waren alle glücklich und zufrieden. Es regnete so lange, bis sogar der fast ausgetrocknete Fluss wieder ein kleiner Bach wurde.

Wir genossen unseren Erfolg und feierten noch einige Zeit, aber dann machten sich nach und nach machten alle wieder auf den Weg nach Hause. Nass aber erleichtert, dass unser Ritual uns den ersehnten Regen gespendet hatte. So, das war’s für dieses Mal bis bald mit einer neuen Geschichte.

Illustrationen: Manuela Tolksdorf, Text: Michael Dodt

Hilfe für die Erdhummelkönigin

Ich bin’s mal wieder; „Weiser Weißbart“ mit einer neuen Geschichte für euch. Erinnert ihr euch noch an die letzte Erzählung, ein seltsamer Fund? Ein paar Tage nach diesen Ereignissen fand ich am frühen Morgen nach einem starken Regen eine klatschnasse Erdhummel. Ich beschloss ihr zu helfen und machte mich auf die Suche nach ein paar Blättern um sie trocken zu reiben. Nachdem das erledigt war, suchte ich noch ein Plätzchen in der Sonne für sie, damit sie sich aufwärmen konnte.

Aber ich konnte nicht mit ihr sprechen, da sich die Hummeln über ihr Summen und Brummen verständigen. Also machte ich mich auf den Weg zu „Bienentänzer“,  einem aus dem Clan „Die-in-der-Luft-schweben.“  Der konnte sich über den Schwänzeltanz mit den Bienen verständigen, vielleicht schaffte er das ja auch mit der Erdhummelkönigin.  Nachdem ich ihn entdeckt  hatte, fragte ich ihn: „Ich habe heute Morgen eine durchnässte Erdhummelkönigin gefunden, weiß aber nicht ob sie noch Hilfe braucht. Ich habe sie schon abgetrocknet und zum Aufwärmen in die Sonne geschafft. Kannst du dich mit ihr verständigen?“  „Leider nein, mit Hummeln kann auch ich nicht sprechen“, antwortete er. „Da kann ich dir nicht helfen.“ Nun war guter Rat teuer.

Zufällig flog „Vierflügel“ vorbei, eine aus demselben Clan wie „Bienentänzer“. Ich erzählte ihr von unserem Problem. „Oh, ich glaube da kann ich euch helfen“, sagte sie. „Du kannst die Sprache der Hummeln?“, wunderte ich mich. „Ach nein, aber ich kenne da jemanden“, antwortete sie. „Grimmbart, einer von den „Steinernen.“ „Und der kann mit den Hummeln sprechen?“, fragte ich ungläubig. „Er brummt und summt fast nur“, sagte sie grinsend. „und spricht so fast nie in ganzen Sätzen. Ich fliege los um ihn zu holen.“

Wir mussten ein bisschen warten, aber dann kamen die beiden wieder bei uns an. „Grimmbart“ setzte sich vorsichtig zu der Erdhummelkönigin und ein lautes Brummen und Summen begann. Nach einiger Zeit stand der „Steinerne“ auf: „Ihr Bau überflutet, Brut vernichtet. Viel nass, neues Zuhause.“ Er sprach wirklich nicht viel. „Dann braucht sie also einen neuen Bau“, sagte ich. „Wir helfen ihr. „Kurzschwanz“, die Rötelmaus, ist doch umgezogen. Ihr Bau ist jetzt frei und auch sicher vor Überflutungen.“

Wieder begann das summen und brummen. „Sie einverstanden und froh“, sagte „Grimmbart“ und verschwand. Mit Worten hatte er es wirklich nicht. Aber das wichtigste war, er hatte uns geholfen. Wir machten uns auf den Weg zu ihrem neuen Zuhause. Dort angekommen verschwand die  Erdhummel in ihrem neuen Bau, um ihn sich genau anzuschauen. Schließlich wusste sie am besten, was sie brauchte, um mit einer neuen Brut zu beginnen. Einige Zeit später kam sie wieder heraus, sie wirkte sehr zufrieden auf mich.

Auch die Lage des Baus war optimal. Hoch genug gelegen, um nicht überflutet zu werden. Und in der Nähe gab es genug Rotklee, Brombeeren und Klatschmohn, von deren Nektar und Pollen sie und später auch ihr Volk sich ernähren konnten.

Es gab sogar Tomaten, die schon blühten. Die Erdhummel flog zu einer von ihnen und biss sich an ihr fest. Was jetzt kam, hatte ich noch nie gesehen. Ihr ganzer Körper begann zu zittern. Hatte sie sich doch erkältet? Aber nein, durch ihr Zittern wurden die Pollen aus der Tomatenblüte geschleudert. Die saßen ganz besonders fest, aber mit diesem Trick kam die Erdhummelkönigin an ihre Nahrung heran. Ich sagte noch „Tschüß“, auch wenn sie mich nicht verstehen konnte. Dann machte ich mich auf den Weg nach Hause.

Das war wirklich genug Aufregung für einen Morgen, jetzt war es Zeit für eine leckere und gemütliche Tasse Tee. Macht’s gut und bis zum nächsten Mal mit einer neuen Geschichte für euch.

Illustrationen: Manuela Tolksdorf, Text: Michael Dodt